Noch fulminanter ist der Salto Mortale, den der Zürcher Regierungsrat gerade vollzieht. Jahrelang hat sich das kantonale Immobilienamt strikt geweigert, beim Verkauf von Immobilien mit den Kommunen und den Wohnbaugenossenschaften zu kooperieren. Das Amt für Raumentwicklung hat den um etwas sozialen Ausgleich im Wohnungsbau bemühten Städten und Gemeinden systematisch die Tür vor der Nase zugeschlagen, wenn diese Planungsmehrwerte zugunsten des gemeinnützigen Wohnungsbaus abschöpfen wollten. Und die Kantag – die kantonale Immobilienverwaltung – war und ist eine der unverschämtesten unter den Liegenschaftenverwaltern.
Und jetzt? Jetzt setzt sich ein schlauer Bauer aus Wädenswil mit einem Vorschlag in Szene, der – wenn er von einem Linken kommen würde – die HEV-Gefolgschaft in hellen Aufruhr versetzen würde. SVP-Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker hat gestern bekannt gegeben, dass der Regierungsrat den Städten und Gemeinden die Möglichkeit geben will, die Erstellung von preisgünstigen Mietwohnungen mit dem Erlass öffentlicher Gestaltungspläne durchzusetzen. Ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit? Nein, eine sinnvolle Ergänzung der bestehenden Fördermittel.
Tut sich da für Menschen, die Grund und Boden nicht nur als Renditevehikel verstehen, gerade ein „window of opportunity“ auf? Wird es gelingen, die fulminanten Abstimmungserfolge in den Städten Zürich (wohnpolitischer Grundsatzartikel) und Winterthur (Nein zum Verkauf der Zeughauswiese) für eine echte Trendwende zu nutzen? Werden aus dem einen nun plötzlich zwei, drei oder 99 Zollhäuser? Wird es einer Bewegung mit Biss gelingen, die Stadt der Prime-Tower und Hard-Türme in einen bunten Schmelztiegel zu verwandeln, in der man nicht mehr zwei Tage pro Woche arbeiten muss, um die Wohnung bezahlen zu können?
Dass vieles möglich ist, hat die kleine AL gezeigt. Wir haben 2002 als einsame Ruferin die Planung in Zürich-West kritisiert, 2006 die Abstimmung über den Gestaltungsplan Stadtraum HB (heute Europaallee) erzwungen und seit 2009 (Einzelinitiative Schiller) in der Stadt und im Kanton Bündnisse für das Zuger Modell zur Förderung des preisgünstigen Wohnungsbaus geschmiedet. Die AL ist zum wohnpolitischen Schrittmacher geworden.
Und es ist auch einiges in Bewegung gekommen. Es gibt interessante Wohnprojekte. Und es gibt bei Genossenschaften und Stadt ein neues Bewusstsein, dass gemeinnütziger Wohnungsbau für echte soziale Durchmischung sorgen muss. Die fortschrittlichen unter den Genossenschaften sind auch wieder bereit, bei Neubauprojekten einen Teil der Wohnungen subventionieren zu lassen und zu Preisen unter 2000 Franken anzubieten.
Und es gibt den Zürcher Stadtrat, der immer mal wieder eine städtische Parzelle aus dem Hut zaubert, die er für den gemeinnützigen Wohnungsbau freischaufelt. Doch die städtischen Landreserven sind endlich. Und die Bereitschaft der Exekutive – auch der rot-grün dominierten – den Clinch mit den grossen und kleinen Grundeigentümern zu wagen, ist begrenzt. Jüngstes Beispiel: Die Planung der SBB beim Bahnhof Oerlikon. Zwei Renditetürme will die SBB dort hochziehen. Der eine davon, der Andreasturm, soll mit einer halsbrecherisch anmutenden baurechtlichen Konstruktion und zahlreichen Nutzungsübertragungen an der Öffentlichkeit vorbei bewilligt werden. Mit stiller Zustimmung der Behörden.
Ist das Zollhaus also nur eine Alibiübung? Es ist wohl eher ein Ausdruck dafür, dass der Umbau der Stadt kein Sonntagsspaziergang sein kann. Möglich ist vieles. Gewonnen noch wenig. Es wird Bewegung brauchen, wenn wir irgendwann einmal wieder sagen wollen: Die Stadt – oder zumindest Teile davon – gehört uns allen.
Bewegung in der Wohnpolitik: Wem gehört Zürich?
Es waren markige Worte, die der Tages-Anzeiger am 1. Februar der Immobilienabteilung der SBB entgegenschleuderte. Was die SBB an der Europaallee hinstelle, sei „das Schlimmstmögliche, das Gegenteil einer Stadtentwicklung, die der Stadt mehr zugutekommt als den Investoren“. Nach Jahren der Lobhudelei für die staatlich besoldeten Gentrifizierungs-Ultras heisst es bei TA-Media nun plötzlich, „die Bahn soll fahren, nicht spekulieren“.