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Reiche nie ein Postulat ein!
In meinen ersten Jahren im Gemeinderat weigerte ich mich beharrlich, Postulate einzureichen. Für mich gab es nur Motionen, verbindliche Befehle an die Exekutive, eine Vorlage zu bringen, und Interpellationen, um vom Stadtrat Rechenschaft zu verlangen. Postulate dagegen sind blosse Petitiönchen, die den Stadtrat gnädigst und unverbindlich bitten, eine Massnahme zu treffen. Genauer gesagt: eine Massnahme zumindest zu prüfen. Früher durfte man in einem Postulat noch schreiben, man bitte den Stadtrat, etwas zu tun. Seit der Verschärfung des Geschäftsreglements darf man nur noch schreiben, man bitte den Stadtrat, zu prüfen, ob er etwas zu tun gedenke. Alles andere wäre eine Art Amtsanmassung und Nötigung der Exekutive. Macht man da einen Formulierfehler, wird man von der Gemeinderatskanzlei scharf zurückgepfiffen. Bestenfalls wird der Vorstoss nachredigiert, schlimmstenfalls wegen Formfehlers zurückgewiesen.
„Frontrunning“ mit bestellten Postulaten
Warum erkläre ich das alles? Weil ich nach meinen Anfangsjahren doch beschlossen habe, von Zeit zu Zeit auch ein Postulat einzureichen. Es gibt da verschiedene Typen von Postulaten. Eine Spezialität altgedienter Regierungsparteien wie der SP sind die bestellten Postulate. Wenn die Fraktion weiss, dass eines ihrer Exekutivmitglieder eine populäre Massnahme plant, gibt man zuvor noch rasch eine parlamentarische Bestellung auf. Im Börsenjargon würde man das „Frontrunning“ nennen, das gezielte Ausspielen von Insiderwissen.
AL bittet mit Postulat die FIFA zur Kasse
Da die AL bis im Juni vergangenen Jahres keine Regierungspartei war, kamen für uns solche Postulate bisher nicht infrage. Wenn der öffentliche Druck gross genug oder mit einer wirkungsvollen Kampagne aufgebaut worden ist, kann es sich durchaus lohnen, mit einem Postulat nachzufassen. Sagte sich auch die AL-Fraktion und reichte 2010 ein Postulat ein für die Korrektur der schändlichen Praxis der FIFA, in Zürich praktisch keine Steuern zu zahlen. Wir baten in bestem Parlamentarierdeutsch:
„Der Stadtrat wird gebeten zu prüfen, welche Schritte unternommen werden könnten, um die von der FIFA an Stadt und Kanton zu bezahlenden Steuern auf ein Niveau zu heben, das der FIFA als faktisch kommerzieller Grossorganisation entspricht.“
203 Millionen dollar Gewinn – 1 Million Steuern
Anlass für den AL-Vorstoss war die Tatsache, dass der FIFA-Finanzbericht für 2010 schlappe 993‘000 Dollar an Steuern auswies. Das bei einem konsolidierten Gewinn von 203 Millionen Dollar vor Steuern, einem Vereinskapital – ja die FIFA ist juristisch und steuertechnisch ein Verein – von 5 und zweckgebundenen Reserven von 1‘250 Millionen Franken. Entgegen irrigen Annahmen geniesst die FIFA jedoch weder Steuerfreiheit noch einen besonderen Steuerstatus. Der Grund ist viel banaler. Seit 9/11 ist kein Versicherer mehr bereit, ein terrorbedingtes Ausfallrisiko einer Fussball-WM zu versichern. Seitdem argumentiert die FIFA, sie müsse all ihre Gewinne vorsorglich für den D-Day eines Terroranschlags als Rückstellung bunkern. Betriebsbedingte Rückstellungen können nach geltendem Recht sowohl beim Ertrag wie bei den Reserven steuermindernd berücksichtigt werden. Offenbar besass die FIFA mindestens bis 2010 ein sogenanntes Steuer-Ruling, d.h. eine rechtsverbindliche Zusicherung der Steuerbehörde, dass sie mit diesem Argument steuerfrei Reserven anhäufen konnte. Von 2003 bis 2010 zahlte die FIFA denn auch regelmässig immer knapp unter einer Million Dollar Steuern.
Von 0.9 auf 17.1 Millionen Dollar
Anlässlich der Debatte über das FIFA-Postulat am 6. April 2011 im Gemeinderat nahm FDP-Finanzvorstand Martin Vollenwyder den Ball auf und erklärte sich bereit, zu prüfen, ob man die sehr grosszügige Rückstellungspraxis der FIFA nicht einer Überprüfung unterziehen könnte. Das, obwohl die Kompetenz für die Steuereinschätzung in diesem Fall beim Kanton liegt. Der Gemeinderat unterstützte unseren Vorstoss mit 75 gegen 46 CVP-, FDP- und SVP-Stimmen.
Und was geschah? Laut FIFA-Finanzbericht sank zwar 2011 der Gewinn von 203 auf 41 Millionen Dollar, die Steuern stiegen dagegen plötzlich von 0.9 auf 4.9 Millionen Dollar. Lapidare Begründung im Bericht: „In den Vorjahren wurden nicht alle relevanten Steuern und Abgaben unter dieser Position ausgewiesen. Die Darstellung wurde ab 2011 entsprechend angepasst.“ Bilanzkosmetik könnte man sagen. 2012 kommt es jedoch noch besser. Der Gewinn vor Steuern steigt wieder auf 106 Millionen Dollar und die ausgewiesenen Steuern schnellen auf 17.1 Millionen empor. Das bringt die Verfasser des Finanzberichts ein wenig in Argumentationsnotstand: „Die zweckgebundenen Reserven der FIFA“ – so erfahren wir – „werden regelmässig auf ihre geschäftsmässige Begründetheit im Rahmen der anwendbaren Steuergesetze überprüft. Die Zunahme der Position Steuern und Abgaben beruht auf der Erfassung von geschätzten Steuerkonsequenzen aus der Erhöhung der zweckgebundenen Reserven.“ Bezahlt ist der ganze Betrag wohl noch nicht, aber der parlamentarische Schuss vor den Bug ist bei den FIFA-Buchhaltern angekommen. Wenn Brasilia vorbei ist und die vorsorglichen Rückstellungen nicht beansprucht werden mussten, wird das kantonale Steueramt ernsthaft prüfen müssen, ob die vom Verein FIFA bis dato angehäuften 1‘375 Millionen Dollar „zweckgebundene Reserven“ (Stand 2012) zurecht steuerfrei geäufnet worden sind.
Wie sagte Max Weber: „Politik ist das geduldige Bohren dicker Bretter.“
FIFA stellt sich zu Unrecht als freiwilligen Steuerzahler dar (Sonntagszeitung 5.1.2014)