Am 09.02. werden wir über die Initiative „Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache“ abstimmen. Als Psychiater in einem Zentrumsspital, der viele Frauen und Paare betreut, welche sich mit Fragen um den Abbruch einer Schwangerschaft beschäftigen, ist es mir wichtig, dass die Argumente dieser unehrlichen und gefährlichen Initiative demaskiert werden.
In der Folge konzentriere ich mich auf die Demontage der vier Hauptargumente, welche das Initiativkomitee auf seiner Homepage aufführt:
1. Stärkung der Freiheit des Einzelnen:
Gemäss Initiativkomitee soll niemand verpflichtet werden, über Prämien die Abtreibungen anderer mitfinanzieren zu müssen. Was hier unter dem Titel der „Freiheit“ daher kommt, entspricht einem etwas konfusen und zutiefst undemokratischen Gedanken. Demokratisch-solidarische Systeme (wie z.B. der Staat, das Gesundheitswesen) zeichnen sich durch eine entsprechende Finanzierung aus. Ihre finanziellen Mittel werden für diejenigen Belange ausgegeben, welche die Mehrheit der BürgerInnen befürwortet. Und so wie ich akzeptieren muss, dass meine Steuergelder fürs Militär oder die UBS-Rettung verwendet werden, obschon ich dagegen bin, geht es nicht an, dass man beim KVG eine „Finanzierung à la carte“ einführt. Das helvetische Gesundheitssystem zeichnet sich durch seine Solidarität (Gesunde helfen Kranken, Junge helfen Alten, etc.) aus. Wer dieses System zerstören möchte, soll das deutlich und laut sagen und entsprechende Schritte (z.B. mittels einer spezifischen Initiative) unternehmen. Und nicht die Diskussion auf einer Nebenbühne wie der aktuellen Vorlage führen.
2. Entlastung der obligatorischen Krankenversicherung von fragwürdigen Leistungen:
Das Initiativkomitee beschreibt Abtreibungen als „fragwürdige“ Leistung. Wenn man dem Duden glauben darf und der Bedeutung des Wortes „fragwürdig“ folgt, so findet das Komitee Abtreibungen anrüchig und verdächtigt. Es kann sich nicht vorstellen, dass sich eine Frau oder ein Paar, aus emotional nachvollziehbaren Gründen, gegen die Fortführung einer Schwangerschaft entscheidet. Auf Nachfrage wird einem entgegnet, dass Abtreibungen keine Krankheiten seien und daher nichts im KVG zu suchen hätten. Bei diesem Argument geht aber vergessen, dass eine Abtreibung unweigerlich mit dem Zustand einer Schwangerschaft verbunden ist. Und auch diese ist keine Erkrankung. Abtreibungen als „fragwürdige Leistung“ zu definieren impliziert daher, dass man die ganze Geburtsversorgung ebenfalls als anrüchig und verdächtigt betrachtet und in letzter Konsequenz aus dem KVG streichen müsste. Und danach kämen vielleicht andere Felder (Herzoperationen bei Übergewichtigen, Krebsbehandlungen bei Rauchenden, etc.) dran. Auch hier also eine „Gesundheitsvorstellung à la carte“, welche aus PatientInnen Schuldige macht. Eine gefährliche Salamitaktik mit unbekanntem und gefährlichem Ende. Für alle.
3. Stärkung der Elternrechte:
Das Initiativkomitee behauptet, dass mit Annahme der Initiative Jugendliche unter 16 Jahren nicht mehr ohne Wissen der Eltern zu einer Abtreibung gedrängt werden können. Nun ja, was soll man dazu sagen? Steht das irgendwo im Initiativtext? Warum sollten zukünftig 16jährige Frauen nicht in der Lage sein, eine private Klinik zu finden, um dort gegen Bezahlung abtreiben zu können? Aus einem einfachen Grund, welchen die InitiantInnen verschweigen: Mit dem Rauswurf der Finanzierung aus dem KVG werden die Preise für Schwangerschaftsabbrüche geradezu explodieren. Öffentliche Krankenhäuser hätten keinen Grund, diesen Eingriff weiterhin anzubieten. Und privaten Zentren darf man keine Vorgaben hinsichtlich Kosten machen. Das ist in den Ländern der Fall, die die Finanzierung des Schwangerschaftsunterbruchs nicht über das öffentliche System regeln. Die Konsequenz ist klar: Während die feine Dame aus der Innerschweiz sich problemlos eine Abtreibung leisten kann, müssen das 16jährige Mädchen oder die Migros-Kassiererin schauen, woher sie das Geld zusammen bekommen. In diesem Sinne ist diese Initiative nicht nur im schlechten Sinn des Wortes paternalistisch sondern auch elitär.
4. Und: Die Initiative leistet einen positiven Beitrag zur Senkung der obligatorischen Krankenkassenprämien:
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Die Kosten sämtlicher Schwangerschaftsunterbrüche belaufen sich auf 0.03% der Gesundheitsausgaben. Löst man so finanzielle Probleme? Indem man sich auf Details konzentriert aber das Gesamtbild aus den Augen lässt? Aber auch wenn man dieser Logik des Initiativkomitees folgt, so fragt man sich erneut: Wenn die Abtreibung eine private Angelegenheit ist, ist dann die Geburt eine öffentliche Sache? Und wenn es wirklich um die Kostenersparnis geht, warum dann nicht auch die Geburten aus dem Obligatorium rausschmeissen? Weil das gar nicht das tatsächliche Thema ist. Letzten Endes geht es darum, dass jede Frau, die sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entscheidet, einen moralischen Obolus in Form einer medizinischen Rechnungsbegleichung zu bezahlen hat.
Frauen, die sich zu einer Abtreibung entscheiden, brauchen keine finanziellen Hürden (bzw. Strafen) sondern die niederschwellige und schnelle Unterstützung eines medizinischen Teams, dass bei dieser Entscheidung zur Seite steht. Darum ist die Abtreibungsfinanzierung keine Privatsache sondern ein öffentliches Interesse.
Ich stehe für eine öffentliche Gesundheit, die nicht nur allen zugute kommt und stimme darum NEIN in dieser Sache am 09.02.
Abtreibungs-Initiative: unehrlich und gefährlich
Die Initiative „Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache“ ist unehrlich und gefährlich. Eine Demontage.