
Es begann unmittelbar nach den Sommerferien mit dem Pseudo-Skandälchen des angeblichen „Nebenamts“ von Richi Wolff bei der Inura GmbH. Wolff war zwar als Geschäftsführer der Inura zurückgetreten und aus der Firmenpensionskasse ausgeschieden, hatte aber den Handelsregister-Eintrag nicht korrigieren lassen. Dieser formale Lapsus war der NZZ immerhin einen ganzseitigen Artikel wert. Nachdem der AL-Stadtrat den Handelsregistereintrag umgehend löschen liess, fiel die Geschichte sang- und klanglos in sich zusammen.
Ribi setzt Wolff „unter Beobachtung“
Nach der spektakulären Verhaftung von fünf Sittenpolizisten wegen des Verdachts auf Korruption wittern die NZZ-Hardliner erneut Morgenluft. „Wolff unter Beobachtung“ titelt Ressortchef Thomas Ribi vollmundig seinen Wochenendkommentar vom 16. November: „Umso erstaunlicher ist es,“ – so Ribi e bitzeli frustriert – „dass die Vorgänge der letzten Tage noch nicht zum Wahlkampfthema wurden. Die Bürgerlichen, die sonst keine Gelegenheit auslassen, Wolff mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren, und jeden seiner Schritte verfolgen und ihn zu hartem Durchgreifen anhalten, haben überraschend zahm reagiert. (…) Doch der Ruhe zum Trotz, die Lage ist heikel. Ein Funke genügt, und der Korruptionsfall wird zum Flächenbrand. Für Richard Wolff ist das ein Prüfstein. Er steht unter Beobachtung. Ob er in der Lage ist, das drittgrösste Polizeikorps der Schweiz politisch zu führen, wird sich genauso daran messen wie an seinem Vorgehen gegenüber gewaltbereiten Hausbesetzern.“
FDP beginnt zu mäkeln
Die FDP lässt sich das von der Alten Tante nicht zweimal sagen. Am 20. November deponieren Parteipräsident Baumer und Fraktionschef Tognella im Gemeinderat eine Anfrage zur Milieu-Affäre. Grossspurig wollen sie wissen, wann Stadtrat Wolff von den Verfehlungen erfahren habe und ob er die Sache auch im Griff habe.
Als Richi Wolff tags danach an der AL-Medienkonferenz ein Votum zur Unterstützung der eben lancierten AL-Initiative „Bezahlbare Kinderbetreuung für alle“ abgibt, sind die FDP-Wächter erneut zur Stelle. In einer Verlautbarung zeigen sie sich „erstaunt darüber, dass der alternative Polizeivorsteher Richard Wolff offenbar Zeit hat, mit seiner Partei an einer Medienkonferenz eine Initiative für bezahlbare Kinderbetreuung für alle zu präsentieren, während aus seinem Departement immer weitere mögliche Verfehlungen bekanntwerden.“ Besorgt fragt die FDP, „ob der Polizeivorsteher nicht wichtigere Aufgaben für unsere Stadt zu erfüllen hätte“.
NZZ erhält lang ersehnten Primeur
In der gleichen Woche stellt sich der AL-Polizeivorsteher – der sich nicht als Schreibtisch-Stadtrat versteht – im Jugendfoyer Kreis 4 der Diskussion mit den beiden Secondos G. und B., welche die wiederholten und oft schikanösen Polizeikontrollen scharf kritisieren. Neben dem Respekt für die schwierige Arbeit der Polizei fordert Wolff auch einen respektvollen Umgang mit Jugendlichen bei Polizeikontrollen. Jetzt kommt die NZZ endlich zu ihrem langersehnten Primeur. Am 4. Dezember macht sie publik, dass drei Jugendliche, die der Tagesanzeiger für seinen Bericht zusammen mit G. und B. abgelichtet hatte, auf dem Foto erkannt und wegen Körperverletzung verhaftet worden sind. Der Artikel erweckt zwar den irreführenden Eindruck, die kritischen Jugendlichen G. und B. seien unter den Verhafteten, ist aber, abgesehen vom süffigen Titel, relativ sachlich gehalten. Tags danach doppeln jedoch Ressortchef Thomas Ribi und Michael Baumann nach und werfen Richard Wolff bar jeder Fakten „Verständnis für Gewalttäter“ vor.
Die Wahlen rücken näher – NZZ legt Zurückhaltung ab und steigert die Kadenz
Knapp einen Monat nach der Verhaftung der fünf Sittenpolizisten zieht Stapo-Kommandant Blumer im Einvernehmen mit Polizeivorsteher Wolff erste personelle Konsequenzen: die zwei noch Inhaftierten werden entlassen, die drei Freigelassenen versetzt, sechs weitere erhalten einen Verweis. Die NZZ nimmt den klaren und differenzierten Entscheid kleinlaut und kommentarlos zur Kenntnis.
Am Wochenende danach revanchiert sich Michael Baumann mit dem Kommentar „Wie der Chef, so die Untergebenen“ und kommt zum Fazit: „Die Führungsriege der Stadtpolizei Zürich hat ein Glaubwürdigkeitsproblem“. Alles nach dem Strickmuster: wenn der Kommandant vorbestraft und der politische Chef ein Linksalternativer „mit Verbindungen zur Hausbesetzerszene“ ist, muss es auch im Korps düster aussehen. Als Beleg dafür müssen neben der Chillis-Affäre herhalten: die aktuelle Verurteilung von zwei Schlieremer (sic) Polizisten wegen Gewalttätigkeiten, der Stapo-Bussenstreik von 2011 (sic) und die Amtsgeheimnisverletzung des Stadtpolizisten Fredy Hafner aus dem Jahr 2008 (sic), die zum Sturz von Armeechef Roland Nef führte…
„Auch wenn Wolff heute betont,“ – so Baumann in seiner FDP-Publireportage zum Schluss – „die Arbeit im Polizeidepartement sei interessanter, als er gedacht habe, hatte er nie ein Hehl daraus gemacht, dass er ein anderes Betätigungsfeld vorgezogen hätte. Für atmosphärische Ruhe und Sicherheit sorgt man anders. Eine Korrekturmöglichkeit beim Spitzenposten im Polizeidepartement gibt es am 9.Februar, wenn der Gesamtstadtrat neu gewählt wird.“
„Stadtrat mit der kürzesten Amtsdauer“
Konsequenterweise ist es auch Michael Baumann, der das NZZ-Porträt von Richi Wolff für die Stadtratswahl verfasst. Gleich zu Beginn stellt der Autor klar, worum es geht: Wolff „könnte bald wieder für Schlagzeilen historischen Ausmasses sorgen, dieses Mal aus seiner Sicht allerdings für negative: Wenn der 56-Jährige am 9. Februar die Wiederwahl nicht schaffen sollte, wäre er seit vielen Jahrzehnten der Stadtrat mit der kürzesten Amtsdauer.“
Als wesentliche Erkenntnis dürfen wir mitnehmen: „Mittlerweile will sich Wolff mit seinem Amt durchaus angefreundet haben, auch wenn er zwischen den uniformierten Polizisten nicht nur optisch als Fremdkörper wirkt.“
Und: „Er sagt aber, – was nur abwertend verstanden werden kann – dass die Arbeit interessanter sei, als er erwartet habe. Dass sein Büro noch nicht vollständig eingerichtet ist und Wände noch leer sind, soll man nicht als Fingerzeig auf eine Zwischenlösung missverstehen.“
Zum Schluss nochmals der Abwahl-Tipp: „Für den Aufbau einer Nachtpolizei wurden ihm die Mittel verweigert. Er muss nun diese Truppe personal- und kostenneutral zusammenstellen – wenn er dann noch im Amt ist.“
Statt eines Kommentars: ein NZZ-Leserbrief aus Genf
Unterm Titel „Stimmungsmache gegen Richard Wolff“ schreibt Leser Dirk Langer aus Thonex in der NZZ vom 21. Dezember 2013:
„Vom fernen Genf aus fällt mir auf, wie systematisch die NZZ negativ über den linksalternativen Zürcher Stadtrat Richard Wolff berichtet, ohne dabei handfeste Argumente für dessen angebliche Unfähigkeit zu liefern. Interesssant ist doch, dass der grosse Skandal, auf den manch derart eingestimmter Leser gespannt wartet, bisher ausgeblieben ist. Nicht einmal die Räumung de Binz-Areals gab etwas her. Bisheriger Schlusspunkt ist der Kommentar (NZZ 14. 12. 13), wonach der Departementschef diffus für Missstände bei der «Sitte» verantwortlich gemacht wird, die ihren Anfang längst vor Beginn seiner Amtszeit genommen haben. Der Kommentar schliesst erwartungsgemäss mit dem Wunsch nach einer Abwahl. Mit Verlaub – eine solch diffuse, parteipolitisch motivierte Stimmungsmache ist unfair und der NZZ unwürdig.“
Dem ist nichts beizufügen.
Wolff unter Beobachtung (NZZ 16. November 2013)
Anfrage Baumer & Tognella zur Milieu-Affäre (20. November 2013)
FDP sägelt an Wolffs Stuhl (Landbote 22. November 2013)
Wir delinquieren doch bloss hier, Mann! (NZZ 4. Dezember 2013)
Verständnis für Gewalttäter (NZZ 5. Dezember 2013)
Wie der Chef, so die Untergebenen (NZZ 14. Dezember 2013)
Linksaussen mit bewegter Vergangenheit (NZZ 19. Dezember 2013)