Die erste Gemeinderatssitzung war schon ein Erlebnis für mich, der schöne alte Saal, die Selbstverständlichkeit, mit der sich alle darin bewegen, die klaren Abläufe, der professionelle und ausserordentlich freundliche Parlamentarische Dienst. Gewöhnungsbedürftig ist nur, dass niemand aufmerksam zuzuhören scheint und dass man tatsächlich Kopfhörer verwenden muss, wenn man die Person eine Reihe vor einem verstehen will.
Was ist die grösste Herausforderung?
Ich spreche mehrere Sprachen hemmungslos mehr oder weniger virtuos, stehe Fremdsprachen ganz allgemein unverkrampft gegenüber. Der Polit-, Bau-, Finanz- und Verwaltungsjargon, mit dem ich mich nun aktiv auseinandersetzen muss, schüchtert mich aber im Moment noch ein.
Vor dem ersten Mal, wenn ich im Gemeinderat eine Weisung vorstellen muss, graut mir ehrlich gesagt. Der Moment wird wohl bald einmal kommen und ich muss den Sprung ins kalte Wasser wagen. Mein persönliches Gemeinderätin-Initiationsritual – wenn ich unbeschadet wieder auftauche, werde ich mich vielleicht als Gemeinderätin bezeichnen.
Wie wirst du von der Fraktion aufgenommen?
So viel Wissen in einer so kleinen Fraktion versammelt ist schon sehr beeindruckend. Ich befinde mich plötzlich in Gesellschaft einer Gruppe richtiger Polit-Cracks, die allesamt nicht lange um den heissen Brei herumreden, während ich mir die passsenden Worte noch zusammen klauben muss. Bis jetzt sind aber alle noch sehr hilfsbereit und verständnisvoll, obwohl keiner von ihnen die Geduld in Person ist.
Unsere Sitzungen bestehen aus einer gedrängten Traktandenliste, und Alecs drückt das Programm manchmal auch mit der Peitsche durch. Trotzdem muss ich sagen, ohne pathetisch klingen zu wollen: Ich fühle mich manchmal fast ein bisschen geehrt, dass ich mit vier solchen Persönlichkeiten zusammen arbeiten darf.
Was sind deine Kernthemen, wo und wofür machst du dich zukünftig im Gemeinderat stark?
Mich beschäftigen viele Themen und sie sind eigentlich deckungsgleich mit jenen der Alternativen Liste.
Ich sehe mich als eine jener vielen BewohnerInnen der Stadt Zürich, die vorhaben, hier ihr Leben zu verbringen – auch ohne wohlhabend zu sein. Ohne einen gut funktionierenden Service Public in allen Bereichen und eine sinnvolle materielle Infrastruktur, die für alle zugänglich ist, wäre das unmöglich. Dessen sollten sich die meisten von uns stärker bewusst sein.
Damit ein Stadtquartier für alle Generationen lebenswert bleibt oder wird, braucht es eine vernünftige Mischung aus Wohnraum, Gewerberaum, sozialen und kulturellen Begegnungsorten und freien Zonen. Wenn die Mischung gelingt, ist sie die beste Garantie für weniger Einsamkeit und mehr Gesundheit und ein Gefühl von Sicherheit im öffentlichen Raum.
Mein persönliches rotes Tuch ist der massive Autoverkehr in der Stadt. Vor zwanzig Jahren gab es wenigstens einmal eine Phase, wo alle, die etwas auf sich hielten, sich geschämt haben, wenn sie alleine im Auto sassen. Heute gilt wieder ganz selbstverständlich: eine Nase pro Auto. Wie kann ich es als Autofahrer/in als gerechtfertigt ansehen, dass ich mit 1500 Kilo bewegtem Material um mich herum so viel Raum in Beschlag nehme und dabei noch die Luft verpeste und Lärm verursache? Das ist mir ein Rätsel. Und dass bürgerliche PolitikerInnen nicht müde werden zu monieren, wie sehr AutofahrerInnen diskriminiert werden, finde ich ausgesprochen einseitig gedacht – und zynisch.
Dass wir heute in der Stadt Zürich, die sich sonst ja gerne weltoffen, integrativ und tolerant gibt, immer noch kein kommunales Stimmrecht für Leute ohne Schweizer Pass haben, finde ich absolut unverständlich. Andere Regionen in der Schweiz haben das ja gut hingekriegt. Warum Zürich nicht mit seiner rot-grünen Mehrheit? Viele Jugendliche, die ich unterrichte, sind im Gegensatz zu ihren Eltern hier in Zürich geboren, machen eine Lehre, werden volljährig, leisten ihre Abgaben, unterstehen dem hiesigen Rechtssystem, sind sich ihrer Pflichten bewusst und nehmen sie auch wahr – das wirklich Einzige, was sie von ihren schweizerischen AltersgenossInnen unterscheidet, sind fehlende Bürgerrechte wie das Stimm- und Wahlrecht. Ich wäre gerne daran beteiligt, diese Ungerechtigkeit endlich zu beheben.
Was wünschst du dir und der AL für die kommenden GR-Wahlen?
Ich bin überzeugt, dass die AL in den nächsten Gemeinderatswahlen auch ohne mein Wünschen und Beten zu mehr Sitzen kommt. Mehr Frauen natürlich – ein Must in einer grösseren Fraktion. Dann ein Wahlkampf, der sinnspendende, spannende und überraschende Akzente setzen kann.
Was machst du ausserhalb des Gemeinderats?
Ich bin in den letzten Monaten – und besonders seit dem Beginn meines neuen Hobbys „Gemeinderat“ – nicht zu viel anderem gekommen.
Wenn ich es schaffe und das Wetter mitspielt, leiste ich mir auf dem Hardhof (eine meiner liebsten städtischen Anlagen) eine Tennisstunde. Das vorletzte Wochenende habe ich im Berner Oberland in einem Yoga-Workshop verbracht. Dort habe ich erfahren, dass ich der Kapha-Typ bin. Interessant, nicht?
Ich freue mich auf die Sommerpause – Zeit für Bücher, etwas Meer, etwas Berge und ein paar Tage Forellen-Fischen im Engadin.
Das ganze Interview für das AL-Info Juli 2013 als PDF