Verteilkampf auf dem Buckel der Lohnabhängigen
Alle Linken, die derzeit ob der Minder-Initiative in Begeisterung ausbrechen, sollten zwei Dinge nicht vergessen:
- Hier wird immer ein Streit um die Verteilung der Beute ausgetragen, um den Entscheid, wer sich welchen Teil des produzierten Mehrwerts aneignet: die Kapitalbesitzer oder die Manager. Die Situation der mehrwertproduzierenden Lohnabhängigen, des „Bodenpersonals“, und ihr Anteil am Kuchen wird völlig ausgeblendet. Seit 2011 verteilen viele börsenkotierte Konzerne – der Unternehmenssteuerreform von Merz sei Dank – jedes Jahr 8 – 10 Milliarden steuerfreie Dividenden an die Aktionäre und prellen den Staat um Hunderte von Millionen Steuereinnahmen. Der empörte Aufschrei der Aktionäre über diesen Steuer-Bschiss ist bis jetzt ausgeblieben…
- Die Aktionärs-„Demokratie“ ist eine nette Illusion. Auch bei börsenkotierten Aktiengesellschaften sind Besitz und damit Stimmrecht ebenso ungleich verteilt wie in unserer Gesellschaft überhaupt. Nur ein Beispiel: bei den vier grössten Immobiliengesellschaften verfügen 4 – 6% der Aktionäre über 90% der Aktien. Aktionärs-Oligarchie wäre der treffendere Begriff.
Ohnmächtige Kleinaktionäre
Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe in meinem Leben einmal Aktien gekauft: 10 Namenaktien von Sulzer, um 2009 beim Übernahmeputsch von Viktor Vekselberg dabei zu sein. Ich erinnere mich gut an die ohnmächtige Wut der 1‘300 Kleinaktionäre, überwiegend Sulzer-Pensionäre, in der Eulach-Halle. Wäre das eine Gemeindeversammlung gewesen, hätten sie alle Abstimmungen haushoch gewonnen. So aber kamen jedesmal, wenn einer von ihnen die Stimmtaste drückte, eine, fünf, zehn, vielleicht auch hundert oder tausend Stimmen zusammen, während Vekselbergs Statthalter mit einem Knopfdruck mehr als 10 Millionen Stimmen generierte und alle anderen locker wegpustete.
Aktionärs-Demokratie als Werkzeug der Raider
Es waren im übrigen gerade Firmen-Raider und –Filettierer wie Martin Ebner, die mehr Macht und value für die Shareholder, sprich Aktionäre, forderten, um ihre Raubzüge auf die Grossbanken, auf Alusuisse und Lonza zum Erfolg zu führen. In dieser Hinsicht birgt die Abzocker-Initiative durchaus auch das Risiko von Kollateralschäden, etwa wenn sie zwingend die jährliche Einzelwahl der Verwaltungsräte vorschreibt und damit auch Spekulanten, die rasch Kasse machen wollen, in die Hände arbeitet. Immerhin sind in der Politik nicht ohne Grund vierjährige Amtsdauern nach einer Wahl die Regel…
Die Linke in der Populismusfalle
Statt auf Einsicht und Mässigung der Aktionäre zu setzen und Reform-Illusionen zu nähren, muss die Linke klar für öffentlich-rechtliche Regulierungen kämpfen. Die Einsätze im Börsen-Casino müssen nach oben begrenzt, die Löhne mit einem Mindestplafonds nach unten geschützt werden. Die Linke hat dazu mit der Lohnbegrenzungs-Initiative 1:12 der Juso oder der Mindestlohn-Initiative der Gewerkschaften griffige eigene Instrumente zur Hand. Unabhängig von ihren konkreten Inhalten und ihrem Denkansatz stellt die Minder-Initiative heute ein Symbol und Signal gegen die Abzockerei dar. Von daher, aber auch angesichts der endlosen politischen Verschleppung und dem millionenschweren Grosseinsatz der economiesuisse wird wohl auch die AL nicht um eine Ja-Parole herumkommen.