„I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked, dragging themselves through the Negro streets at dawn looking for an angry fix – Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt, wie sie sich im Morgengrauen durch die Negerviertel schleppten auf der Suche nach einer wütenden Spritze“ sang Allan Ginsberg 1955 in seinem legendären Gedicht „Das Geheul“. Heute suchen die besten Köpfe ihren Kick anderswo: sie basteln für Hedge-Funds und institutionelle Anleger hochintelligente Computerprogramme, in denen alles Herrschaftswissen gespeichert ist über unsere Gier, unsere Ängste und unser Bedürfnis nach Sicherheit, unser historisches Verhalten in Krisen und Kriegen, unseren unausrottbaren Herdentrieb und vieles mehr. Computerprogramme, die imstande sind, in Millisekunden zuzuschlagen, um auch noch die geringsten Kursdifferenzen an den Börsen auszunützen, die aber auch systembedrohende Abstürze auslösen können.
Vor 30 Jahren rebellierten aufmüpfige Jugendliche und wollten aus diesem Staat Gurkensalat machen. Den Salat richten mittlerweile ganz andere an. Und der Markt, Adam Smiths unsichtbar lenkende Hand, ist selbst seinen feurigsten Apologeten unheimlich geworden. Nach dem 720-Milliarden-Paket zur Euro-Rettung schrieb die NZZ im Wirtschaftsteil: „Das Endspiel der diesjährigen Fussball-Weltmeisterschaft findet in Südafrika statt, das ist klar. Wohingegen an den Finanzmärkten das „Endspiel“ der Schuldenkrise der Industrieländer gespielt wird, steht noch in den Sternen. Rational gesehen, könnte die Krise bald der Vergangenheit angehören. Doch wenn die Marktteilnehmer erst im Panik-Modus sind, stehen rationale Überlegungen nicht im Vordergrund. Hat sich der Markt in ein „Monster“ verwandelt, sucht er stets nach dem nächsten schwächsten Opfer.“
Immerhin: Fussball ist nur ein Spiel. Doch wenn in drei Wochen die WM angepfiffen wird, gelten strenge Regeln. Die Schiedsrichter pfeifen Fouls und Offside und geben Penalties und Eckbälle. In der immer virtuelleren Welt der Finanzmärkte, der Derivate und Hedge-Funds bestimmen dagegen die Player selber die Spielregeln. Aber das ist kein Spiel und hat mehr als handfeste Auswirkungen auf unsere Lebensverhältnisse.
Allenthalben ist vom Kasino-Kapitalismus die Rede. Was für ein krass beschönigender Begriff! Im Kasino gibt es Zutrittskontrollen, Hausverbote, ja sogar Betreuungsangebote für Spielsüchtige. Ich rede da lieber vom „Burghölzli-Kapitalismus“. Dank gütiger Mithilfe der SVP sind wir mittlerweile Spitze im Aufspüren jedweder Sozialhilfe-Tricksereien. Aber ich vermisse schmerzlich die Finanzplatz-Detektive, die sich an die Fersen der Hasardeure in den Chefetagen heften. Ja und ich wünsche mir sehnlichst, dass einigen von ihnen endlich ein fürsorgerischer Freiheitsentzug verordnet wird.
Auszug aus der Alterspräsidenten-Rede von Niklaus Scherr (19. Mai 2010)