Am diesjährigen 1. Mai konnten Ausschreitungen und Sachbeschädigungen beinahe ganz verhindert werden. Dazu setzte die Polizei jedoch ein immenses Aufgebot ein und erklärte faktisch ein grosses Gebiet des Kreises 4 zur Sperrzone, führte Zutrittskontrollen zwischen Kreis 1 und 4 durch, verbot etlichen Anwohnenden das Verlassen ihrer Häuser während Stunden – und verhaftete bekanntlich 542 Personen. Die meisten dieser Verhafteten konnten nach wenigen Stunden die Haftstrasse wieder verlassen, viele von ihnen ausgerüstet mit einer Wegweisung für 24 Stunden.
Auch wenn der Erfolg dieses Einsatzes positiv gewertet wird, so muss doch die Frage gestellt werden, zu welchem rechtsstaatlichen Preis dieser erkauft wurde.
Wir bitten daher den Stadtrat zu folgenden Fragen Stellung zu nehmen:
- Auf welche rechtliche Grundlage stützte sich die Polizei bei diesem Einsatz und wie erklärt sie genau die juristische Zulässigkeit (inkl. Verhältnismässigkeit), ein so grosses Gebiet faktisch zur Sperrzone zu erklären?
- Wie wurde genau kommuniziert, dass ein Aufenthalt in dieser Zone in der Haftstrasse enden kann? Wie wurde sichergestellt, dass dies auch unbeteiligte Dritte wussten und ihr Verhalten danach richten konnten? Sieht der Stadtrat dies als erreicht an?
- Wie erklärt und begründet der Stadtrat, dass beliebige Personen, die nichts mit irgendeiner Form von 1. Mai Begehen am Hut hatten, bzw. die keinerlei Absicht hatten, sich an Gewalttätigkeiten zu beteiligen oder einen Polizeieinsatz zu stören, effektiv nur deshalb verhaftet wurden, nur weil sie sich in besagter Zone aufhielten? Musste eine Person überhaupt noch Anlass geben durch eine aktive Handlung, um verhaftet zu werden, und wenn ja, was war die unterste Schwelle? Wenn nein: wie begründet der Stadtrat die Rechtmässigkeit der Verhaftung dann, insbesondere auch vor dem Hintergrund von § 34 Abs. 1 PolG, gemäss dem eine Festnahme nur zulässig ist, wenn sich die betroffene Person der angeordneten Wegweisung widersetzt?
- Welche Belehrung über ihre Rechte wurde den in die Haftstrasse Genommenen vorgelesen? Bitte um wortwörtliche Wiedergabe.
- Es ist offensichtlich, dass das Ziel war, eine möglichst grosse Menge während dem Nachmittag des 1. Mai festzuhalten. Wie erklärt der Stadtrat den Unterschied zwischen den Verhaftungen von ein paar Stunden, also einmal durch die Haftstrasse und wieder raus, und Präventivhaft? Falls er keinen Unterschied sieht: wie erklärt er, dass die Voraussetzungen für die Präventivhaft bei allen betroffenen Personen, insb. die, die rein zufällig in der Sperrzone anwesend waren, gegeben waren?
- Wie lautete die Dienstanweisung bezüglich Verhängen von Wegweisungen (Voraussetzungen, Dauer, örtlicher Umfang)? Wie begründet der Stadtrat das Verhängen von Wegweisungen, die Geltung hatten bis am Abend des Montags, 2. Mai? Wie genau begründet er insbesondere die Verhältnismässigkeit für den Montag, einen normalen Arbeitstag, im Lichte der Tatsache, dass die Ausschreitungen in der Vergangenheit sich stets auf den 1. Mai begrenzt haben?
- Welche Daten wurden von den auf offener Strasse kontrollierten PassantInnen aufgenommen und was passiert mit diesen (zB diejenigen, welche nach dem Umzug die Gessnerbrücke überquerten Richtung Festareal)?
- Wie beurteilt der Stadtrat heute aus rechtsstaatlicher (nicht aus politischer!) Sicht den Einsatz? Würde er bei gleichen Bedingungen wieder einen gleichen Einsatz fahren?
Schriftliche Anfrage vom 11. Mai als PDF