Von Walter Angst und Niklaus Scherr
Mit der Kavallerie habe die SP die Baufirma Marazzi gezwungen, mehr Ökologie und gemeinnützigen Wohnungsbau auf der Industriebrache Manegg zu planen, behauptet der Zürcher Freisinn in seinen Wahlinseraten. Wegen dieses „Sündenfalls“ würden Bauherren bald wieder einen grossen Bogen um das „rot-grüne“ Zürich machen.
Man kann das für eine Schreckensvision oder einen Segen halten: Absurd ist die Aussage so oder so. Die Zahl der Grundstücksverkäufe, geplanten Neubauten und Baustellen zeigt einen sehr vitalen Zürcher Immobilienmarkt. Grund für das Zeter und Mordio der FDP ist nicht die Angst vor abwandernden Investoren. Entsetzt ist man, weil in Zürich endlich wieder öffentlich um Stadtplanung gestritten wird.
In die Agglo verdrängt
„Kooperative Planung“ heisst das Modell, das auf Hinterzimmergespräche zwischen Investoren und den zuständigen Exekutiv-Mitgliedern setzt. Das enge Beziehungsnetz, das Bauvorsteherin Kathrin Martelli (FDP), Ex-Stapi Elmar Ledergeber (SP) und FDP-Finanzvorstand Martin Vollenwyder mit den Investoren geknüpft haben, kennt klare Spielregeln: Die öffentliche Hand bringt Wünsche zur baulichen Aesthetik, zum Verkehr und neuerdings zur Ökologie ein, über Nutzweise und Preise entscheiden dagegen die Investoren. Die Produkte dieses Modells sind stadtweit zu besichtigen: Renditeobjekte, die Investoren glücklich machen und zu einer rasanten Umschichtung der Bevölkerung geführt haben. Menschen mit kleinem Einkommen werden in die Agglomeration verdrängt, zahlungskräftige Agglomeriten kehren in die Stadt zurück.
Zwischen den Entscheiden der Planungsbehörden und dem öffentlichen Bedürfnis nach zahlbarem Wohnraum hat sich ein wachsender Graben aufgetan. Noch vor einem Jahr wagten nur AL und Grüne, sich gegen investorenfreundliche Entscheide – etwa bei der Umnutzung des Zollfreilagers – aufzulehnen. Bei der Diskussion um das 25 Hektaren grosse Manegg-Areal war erstmals auch die SP bereit, eine Planungsvorgabe des Stadtrats umzustossen. Statt des bloss zur Genehmigung vorgelegten privaten Gestaltungsplans haben SP, Grüne und AL eine öffentliche Diskussion über die künftige Nutzung gefordert. Der vom Stadtparlament zu beschliessende öffentliche Gestaltungsplan müsse für die geplanten Neubauten den Minergie-P-Standard, weniger Parkplätze und den Bau eines Mindestanteils an zahlbaren Genossenschaftswohnungen festschreiben.
Dass der Hauptinvestor, die Berner Baufirma Marazzi, auf die Forderungen der politischen Mehrheit einging, hat weitherum erstaunt. Marazzi verpflichtete sich nicht nur zu ökologischen Standards, die weit über den vom Stadtrat ausgehandelten Gestaltungsplan hinausgehen. Er schloss auch – gegen den standhaften Widerstand von Stadträtin Martelli – einen Vertrag mit dem Dachverband der Zürcher Baugenossenschaften, der den Weg freimacht für den Bau von Genossenschaftswohnungen.
Dieser Vertrag ist ein Durchbruch. Die Baugenossenschaften haben das Geld und das Wissen, um bezahlbare Wohnungen zu bauen. Sie brauchen jedoch Bauland. Ohne die Bereitschaft privater Grundbesitzer, die Baugenossenschaften und die Stadt an der Entwicklung grosser Wohnbauprojekte zu beteiligen und Bauland für Alters- und Studentenwohnungen an die Stadt abzutreten, sind die Ziele einer solidarischen Stadtentwicklung – weniger Verkehr, durchmischte Quartiere, Wohn- und Gewerberaum für alle – nicht umsetzbar.
Dass die Immobilienwirtschaft heftig auf den Manegg-Deal reagieren würde, war zu erwarten. Dass sich der Stadtrat offen zum Sprecher ihrer Partikularinteressen machen würde, war es weniger. Als sich abzeichnete, dass das Parlament auch noch einen Landverkauf an die SBB Immobilien AG blockieren würde, weil die SBB die Baugenossenschaften nicht an der Entwicklung ihrer Wohnprojekte beteiligen wollte, zog der Stadtrat die Notbremse. Mit den Stimmen der rotgrünen Mehrheit liess die Exekutive das Geschäft sechs Stunden vor der Beratung im Stadtparlament von der Traktandenliste streichen. Die Ansage war klar: Parlament und Öffentlichkeit sollen nicht am Tisch sitzen, wenn wichtige Planungsentscheide gefällt werden.
Schwankende SP
Inszeniert wurde dieser Buebetrick von Finanzvorstand Martin Vollenwyder (FDP). Sein Ziel: Der Stadtrat soll auch nach der Blutauffrischung vom 7. März an der „Kooperativen Planung“ der Ledergerber & Martelli GmbH festhalten. Und die SP soll sich nicht noch einmal dazu versteigen, die in den Hinterzimmern der Macht gefassten Planungsentscheide zu hinterfragen.
Die SP schwankt noch über ihren künftigen Kurs. Beim Entscheid über den Verkauf von 3‘100 m2 städtischem Bauland in Zürich West an die Investorengruppe Halter und Albers stimmte die Fraktion im Gemeinderat gegen den Rückweisungsantrag von AL und Grünen. Diese hatten als Gegenleistung für den lukrativen Land-Deal den Bau von zahlbaren Wohnungen und mehr Quartiernutzungen verlangt. Das laufende Referendum dürfte hier zu einer Klärung führen.
Zonen für preisgünstigen Wohnungsbau in Zug und Zürich
Mit 62% Ja wurde im September 2009 die neue Bau- und Zonenordnung der Stadt Zug angenommen. Sie sieht neu spezielle Zonen vor, in denen mindestens die Hälfte der Wohnungen nach den Grundsätzen des gemeinnützigen Wohnungsbaus gebaut werden müssen. Der Stadt wird dazu ein Vorkaufsrecht eingeräumt, das sie an Baugenossenschaften abtreten kann. Am 27. Januar 2010 hat eine Mehrheit des Zürcher Gemeinderats eine ähnlich lautende Einzelinitiative von Manuela Schiller, der Präsidentin des Stadtzürcher Mieterinnen- und Mieterverbands, vorläufig unterstützt.