Am 12. März eröffnet die Stadt Zürich in der Polizeihauptwache Urania das erste Ausnüchterungsgefängnis der Schweiz. Die aktuelle Zürcher Polizeivorsteherin Esther Maurer und ihr Vorgänger Robert Neukomm hinterlassen uns nochmals eine sicherheitspolitische Innovation.
Seit der Inkraftsetzung des Zürcher Polizeigesetzes darf die Zürcher Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, „wenn
- sie sich selber, andere Personen, Tiere oder Gegenstände ernsthaft und unmittelbar gefährdet,
- sie voraussichtlich der fürsorgerischen Hilfe bedarf,
- dies zur Sicherstellung einer Vor-, Zu- oder Rückführung notwendig ist.“
Artikel 25 des PolG schaffte am 1. Juni 2009 die Rechtsgrundlage für eine Institution, die der damals frischgebackene Polizeivorstand Robert Neukomm 1993 eingerichtet hat. Ins „Rückführungszentrum“ – einst am Hegibachplatz, heute in der Kaserne domiziliert – bringt die Polizei seit 17 Jahren Junkies, Alkies und Obdachlose, die sie von der Strasse weghaben will. Auf „Rückführung“ wurde das Zentrum getauft, weil man in den frühen 90er-Jahren nicht in Zürich angemeldete Drogenabhängige den Sozialämtern ihrer Gemeinden zuführen wollte – damit sich endlich auch die SVP-Politiker auf dem Land mit dem Drogenproblem auseinandersetzen müssten. Heute ist das VRZ eine Anstalt, die die Polizei nutzt, um unerwünschte Menschen temporär aus dem öffentlichen Raum zu entfernen.
Seit 1998 ist Robert Neukomm als Chef des Gesundheits- und Umweltdepartements der Schirmherr des Rückführungszentrums. Seine Kollegin Esther Maurer steht an der Spitze des Polizeidepartements. Beide gehören dem christlichsozialen Flügel der SP an. Die Politik der am 30. April abtretenden ExekutivpolitikerInnen würde viel Material hergeben für eine Studie über das Revival eines fürsorglich-parternalistischen Sicherheitsstaats. Die Eröffnung der „Zentralen Ausnüchterungsstelle ZAS“ würde in dieser Studie vielleicht als Beginn der Hochblüte dieses Politikansatzes bezeichnet.
Revitalisierter Zellentrakt
Baulich ist die „ZAS“ ein seit längerem nicht benützter Zellenflügel in der Hauptwache Urania. Er ist in den letzten zwei Monaten für rund 300‘000 Franken mit Duschen, Überwachungskameras und neuen Schliesseinrichtungen aufgemotzt worden und umfasst heute 12 Zellen. Am Freitag nach den Zürcher Kommunal-Wahlen wird die Einrichtung ihre Tore öffnen. Geöffnet sein wird sie nur über die Wochenende.
Der Polizist, der auf nicht mehr oder nur noch schlecht ansprechbare Personen stösst, wird dann eine völlig neue Möglichkeit haben. Wenn er bei der Patrouille auf eine zugedröhnte Person gestossen ist konnte er diese bisher entweder in den Notfall eines Spitals bringen oder in eine Gefängniszelle stecken. In Zukunft wird er den mal stillen, mal lautstarken Störer in Gewahrsam nehmen und der ZAS zuführen können. Dort stehen ein Team von MitarbeiterInnen des privaten Sicherheitsdienstes Custodia und PflegerInnen bereit, die unter der Leitung eines Stadtpolizisten die in Gewahrsam Genommenen unter ihre Fittiche nehmen. Wenn der Leiter des Pflegedienstes der Meinung ist, ein Betrunkener könne entlassen werden, wird der Stadtpolizist entscheiden, was weiter läuft.
Was es immer geben soll ist eine Rechnung: 1000 Franken kostet die Übernachtung in der ZAS für die Gäste. Wenn Jugendliche übernachten, erhalten die Eltern nicht nur die Rechnung, sondern auch den Besuch eines Behördenvertreters.
Die Kritik, …
Auch polizeikritische Kreise bestreiten nicht, dass der Bedarf an einer professionellen Betreuung für zugedröhnte oder vollbetrunkene Menschen gross ist. Die zivilen Auffangstationen, die man an Grossanlässen wie der Streetparade eingerichtet hat, sind nie in die Kritik geraten. Weitherum kritisch beurteilt wird hingegen die neue Dimension der Verschränkung polizeilicher Zwangsmassnahmen und pflegerischer Hilfe. Der Krake erschliesst sich ein neues Einsatzgebiet und erschliesst sich auch noch neue personelle Ressourcen: Private Sicherheitsleute und private PflegerInnen, die in einer städtischen Hafteinrichtung zum Einsatz kommen, sind ein Tabubruch mit kaum absehbaren Folgen.
…. die programmatische Antwort…
Auf die Kritik hat das Duo Neukomm/Maurer programmatisch reagiert. Auf eine von über dreissig linken GemeinderätInnen unterzeichnete kritische Anfrage zum Einsatz privater Sicherheitsleute im Polizeigefängnis antworten die Beiden mit folgendem Ingress:
„Die Terminologie in Bezug auf die zentrale Ausnüchterungsstelle ZAS («Ausnüchterungsknast»,«Ausnüchterungszelle», «Spezialknast» usw.) ist unrichtig, unsachlich und irreführend und es ist ihr klar und vehement zu widersprechen. Vielmehr ist die zentrale Ausnüchterungsstelle ZAS ein geschützter Raum, um berauschte Personen unter seriöser medizinischer Betreuung und Aufsicht davor zu schützen, sich aufgrund ihres Zustandes selber zu gefährden, und um aggressive Handlungen und Angriffe gegen Drittpersonen zu verhindern. Haftanstalten sind nach gängigem Verständnis hingegen Institutionen, in denen Freiheitsstrafen (gemäss Strafgesetzbuch oder Spezialgesetzen) oder Untersuchungshaft (aufgrund der Strafprozessordnung) vollzogen werden. Demnach ist die zentrale Ausnüchterungsstelle also eindeutig keine Haftanstalt, sondern ein Ort, an den stark berauschte Personen gebracht werden, die gemäss den Vorschriften des Polizeigesetzes (§ 25f. PolG) in polizeilichen Gewahrsam genommen werden mussten. Das Polizeigesetz definiert die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen eine solche Gewahrsamnahme zulässig ist, und begrenzt auch die gesetzlich zulässige Gewahrsamsdauer (§ 27 PolG). Der Polizeigewahrsam ist somit provisorischer Natur und es kommt ihm kein Strafcharakter zu. Insbesondere bei Trunkenheit und/oder Drogenrausch wird die medizinische Betreuung zum wichtigen und zentralen Bestandteil der Garantenstellung. Deshalb ist in der zentralen Ausnüchterungsstelle ZAS auch permanent medizinisches Fachpersonal vor Ort und das Pilotprojekt wird interdepartemental gemeinsam vom Polizei- und vom Gesundheits- und Umweltdepartement geführt.“
… und ihr Innovationswert
Die Behauptung, die ZAS sei keine Haftanstalt ist zwar falsch. Die dahinter gesetzte Relativierung „im gängigen Sinn“ dürfte jedoch den Kern der Sache treffen. Die institutionelle Trennung der – strenger geregelten und damit teureren – Haftanstalt von Einrichtungen zum Vollzug von betreuerischen Gewahrsamsmassnahmen ist der Weg, den Robert Neukomm schon mit seinem Rückführungszentrum gegangen ist. Ein Konzept mit einem kaum absehbaren gesellschaftlichen Innovationswert – sei es bei Fussballspielen, beim Botellon oder am 1. Mai. Dort versammeln sich immer wieder Menschen, die man vor sich selber in Schutz nehmen und betreuen müsste … was man heute noch nicht tut, weil man nicht weiss, wo die Menschen untergebracht werden sollen.