Vielleicht nennt man es später einmal «Manegg-Effekt»: Linke und grüne Gemeinderäte haben bei der Behandlung des Gestaltungsplans Manegg ihre Muskeln spielen lassen und den Grundeigentümern Zugeständnisse bei Energie und gemeinnützigem Wohnen abgerungen. Der Erfolg nährte natürlich sofort Begehrlichkeiten bei andern Entwicklungsgebieten, vor allem beim Projekt Westlink in der Nähe des Bahnhofs Altstetten. Die Gemeinderatskommission verlangte, dass auch hier «nachgebessert» werden müsse. Gefordert wurden zusätzliche energetische Massnahmen und der Bau preisgünstiger Wohnungen. Nur wenn diese Bedingungen erfüllt wären, würde der Gemeinderat dem Verkauf eines kleinen Stücks Land für das SBB-Projekt zustimmen.
«Kabinettspolitik» mit SBB
Doch diesmal liess der Stadtrat das Parlament ins Leere laufen. Er zog die Weisung kurzerhand zurück und teilte mit, dass man mit den SBB Lösungen suchen wolle, wie man die Überbauung ohne den Verkauf realisieren könne. Der Gemeinderat, der sich sonst rasch vom Stadtrat ausgebootet fühlt, war überrumpelt. Einzig die AL-Vertreter protestierten und sprachen von «Kabinettspolitik». «In Zürich schaltet der Stadtrat das Parlament aus, wenn dieses nicht spurt, um den SBB einen Freipass für ihre Immobilienpolitik zu verschaffen», hiess es in einer AL-Erklärung. Die meisten Gemeinderäte hatten schlicht nicht verstanden, was der Stadtrat vorhat. Manche waren der Ansicht, er werde mit den SBB nachverhandeln, um die Forderungen der Kommission doch noch einfliessen zu lassen.
Tatsächlich lag das nie in der Absicht des Stadtrats. Er wollte dem Gemeinderat das Geschäft aus der Hand nehmen, um Schaden zu vermeiden, wie er in seinem Beschluss schreibt. Innert nützlicher Frist wäre keine neue Übereinkunft mit den SBB zustande gekommen. Die Verzögerung hätte dazu führen können, dass die SBB Schadenersatzansprüche geltend gemacht hätten. Und zudem wäre ein Dienstbarkeitsvertrag für die Schaffung einer Tram-Wendeschlaufe möglicherweise in Frage gestellt worden. Teil des Projekts Westlink ist die Endstation des Trams Zürich-West, das momentan im Bau ist.
Der Stadtrat hat nun vor, das kleine Landstück auf dem Areal vorläufig zu behalten, den SBB aber die Überbauung mit dem Einräumen verschiedener Rechte, zum Beispiel eines Näherbaurechts, zu ermöglichen. Das «Plaza»-Gebäude kommt zum Beispiel bis auf wenige Zentimeter an das städtische Grundstück heran. All dies kann der Stadtrat tun, ohne den Gemeinderat zu konsultieren. Der Stadt Zürich entgeht ein Verkaufserlös von gut 2 Millionen Franken.
Baugesuch für ersten Teil
Das Projekt Westlink sieht den Bau von rund 80 Wohnungen und 1200 bis 1500 Arbeitsplätzen vor unter anderem soll ein SBB-Dienstleistungszentrum für rund 870 Mitarbeiter entstehen. Im Erdgeschoss werden Läden und Restaurants eingebaut. Realisiert wird das Projekt in zwei bis drei Etappen.
Laut Auskunft von SBB-Sprecher Daniele Pallecchi wird «in nächster Zeit» das Baugesuch für den Komplex «Plaza» eingereicht. «Tower» und «Kubus» sollen im Winter 2010/11 folgen. Dass der Landverkauf nicht zustande kam, enttäuscht die SBB ein wenig, schliesslich sei dies als Ergebnis eines langen Planungs- und Verhandlungsprozesses herausgekommen. Die Stadt müsse nun Lösungen suchen, wie sie ihre Rahmenbedingungen dennoch einhalten könne. «Dies ist nach einem so langen Prozess unangenehm, aber unserer Meinung nach lösbar», sagt Daniele Pallecchi.
Was die Forderungen der Kommission angeht, so kommen ihr die SBB mindestens teilweise entgegen. Das ursprünglich geplante Hotel, das als Wohnanteil angerechnet worden wäre, wird nun nicht realisiert. «Seit mehreren Jahren wurde diese Variante nicht mehr verfolgt», sagt Pallecchi. Auf dem Areal selber entstehen keine gemeinnützigen Wohnungen, dafür will man auf dem Areal Letzibach auf der andern Seite der Gleise mit Baugenossenschaften zusammenarbeiten. Im Teilareal D sei gemeinnütziger Wohnungsbau vorgesehen. Bis im Frühjahr 2011 sollten Rahmenbedingungen und Vorgehen geklärt werden, sagt Pallecci.
Da wartet allerdings noch ein hartes Stück Arbeit. An einer Diskussionsveranstaltung über die Immobilienpolitik der SBB Anfang Februar meldete sich Peter Schmid, der Präsident der Zürcher Sektion des Verbands für Wohnungswesen, zu Wort und kritisierte die SBB mit harten Worten. Es fehle ihm das Vertrauen, dass es den SBB wirklich ernst sei mit der Schaffung günstiger Wohnungen. Im Fall Letzibach seien keine gemeinnützigen Wohnbauträger in die Planung einbezogen worden mit dem Effekt, dass die Grundrisse der Wohnungen so gross geraten seien, dass sie für Genossenschaften nicht mehr attraktiv seien.
Ball beim Stadtrat
Auch im Gemeinderat tut sich wieder etwas: Walter Angst (al.) und 42 weitere Gemeinderäte von SP, Grünen und Alternativen haben eine dringliche schriftliche Anfrage eingereicht, in der sie vom Stadtrat ergänzende Erklärungen zum stadträtlichen Rückzugs-Coup verlangen.
Vor allem machen sie den Stadtrat darauf aufmerksam, dass sie mit der angedrohten Ablehnung des Landverkaufs klar signalisiert hätten, dass sie mit den bisherigen Ergebnissen der Verhandlungen mit den SBB nicht zufrieden seien. «Wie gedenkt der Stadtrat, diese Willensäusserung bei den weiteren Gesprächen mit den SBB aufzunehmen?», heisst es in einer der letzten Fragen der umfangreichen Frageliste. Weil mehr als 30 Gemeinderäte unterschrieben haben, hat der Stadtrat nur vier Wochen Zeit, sich die passenden Antworten auszudenken.