Interview im PS, 2. Dezember 2009
P.S.: Ihre Alternative Liste Zürich ist beim neuen ‘Dachverband’ der Linken in der Schweiz dabei. Was versprechen Sie sich von diesem – beileibe nicht ersten – Versuch, gesamtschweizerisch die Kräfte zu bündeln?
Walter Angst: Es ist in der Tat nicht der erste Versuch. Im Gegensatz zu früheren Versuchen machen sind dieses Mal Personen aktiv, die wirklich gemeinsam etwas Neues aufbauen wollen. Das ‘Gekifel’ zwischen Mitgliedern bestehender Gruppen, die gar nicht aufeinander zugehen wollen, die Veränderungen nicht als Chance, sondern als Bedrohung auffassen, will niemand wiederholen.
Wer ist denn also angesprochen?
Es sollen politisch aktive Menschen, die schon in Strukturen eingebunden sind – zum Beispiel also AL-Mitglieder -, mit anderen, die noch nicht parteipolitisch engagiert sind, zusammengebracht werden. Es gibt viele jüngere Menschen, die anders politisiert worden sind als meine Generation. Wir werden gemeinsam schauen, ob und wie wir diese neue politische Kraft aufbauen können. Wir wollen die Kräfte der Linken bündeln, Systemfragen stellen und dabei doch pragmatisch bleiben. Wir wissen, dass die radikale Linke heute mit konkreten politischen Kampagnen mehr erreichen kann, als in den 70er- und 80er-Jahren, als schon Forderungen nach einem Jugendtreff mit dem damals üblichen «Moskau einfach» totgeschlagen worden sind. Wir wollen ausloten, wie sich dieser Spielraum ausnützen lässt, und mehr kritische Menschen für konkrete Projekte gewinnen.
«Die Kräfte bündeln» tönt gut; bei den Nationalratswahlen 2007 taten sich beispielsweise «A Gauche toute!» aus Genf und die AL Zürich zusammen – allerdings ohne Erfolg…
Genf ist – man verzeihe mir die Überheblichkeit – in diesem Punkt nicht sehr repräsentativ. Es wären in Genf zwei zwei Nationalratssitze zu gewinnen gewesen, wenn man zusammengegangen wäre. Die Genfer Freund/-innen haben sich für Alleingänge entschieden und das damalige Projekt schon vor dem Start zum Scheitern gebracht. Im Jura, in Neuenburg und in der Waadt und in vielen Orten in der Deutschschweiz gib es eine andere Kultur in der radikalen Linken. Es gibt viele, die nicht der Meinung sind, dass man wegen jeder Differenz eine eigene Gruppe gründen müsse.
Und darauf baut die neue gesamtschweizerische Linke?
Wir versuchen, einen Bogen zu schlagen von der West- in die Deutschschweiz und ins Tessin. Die Alternative Linke soll ein Gefäss sein für Leute, die eine starke neue Kraft aufbauen wollen, mit der die soziale Frage neu thematisiert werden kann. Angesprochen sind viele. Uns ist es egal, ob jemand heute in der SP, bei den Grünen, der PdA, der AL oder anderen Gruppen politisiert, solange nicht parteipolische Ränkespiele der Hauptantrieb für das Engagement sind. Wir wagen einen Neuanfang und schauen, was dabei herauskommt.
Aber wenn dann, wie jüngst in Genf, die Linke findet, die SP sei ihr zu rechts, und damit dem Mouvement Citoyens Genevois MCG den Weg frei macht, dann wirds schwierig mit der starken neuen Kraft…
In Genf gab es schon in früheren Jahren seltsame Hochkonjunkturen für xenophobe Kräfte. Der aktuelle Erfolg des MCG lehrt auch uns fürchten., dass wir wieder vor einer noch grösseren rechtsradikalen Mobilisierung stehen. Der Aufschwung der Rassisten ist aber sicher nicht darauf zurückzuführen, dass es neben der SP noch andere linke Kräfte gibt. Das Problem ist das vielmehr, dass sich diese linken Opposition zurzeit nicht mehr als eigene Kraft artikuliert.
Ein «Wahlprojekt 2011» ist die Alternative Linke also nicht?
Zumindest für mich ist sie das nicht. Natürlich gibt es immer Leute, die darauf hoffen, dank eines gemeinsamen Labels auf mehr Aufmerksamkeit zu stossen, und schon wieder über linke Fraktionen nachdenken. Mir ist es wichtiger, dass wir neue Leute ansprechen und politische Projekte mit Ausstrahlungskraft anschieben können.
Aber es ist nicht die Meinung, dass die AL oder auch andere bestehende Gruppierungen in der Alternativen Linken aufgehen sollen?
Die neue Bewegung wird von dem leben, was die mit ihr verbundenen Personen und Gruppen in ihren Städten und Kantonen zustande bringen. Es wäre absurd zu glauben, dass sich eine Alternative Linke auf der Metaebene der schweizerischen Politik bilden könnte, ohne lokal verankert zu sein. Der Umkehrschluss, dass die AL die Alternative Linke in Zürich sei, wäre aber genauso falsch. Die in der AL aktiven Leute gehören nicht zu den Organisationsfetischisten, die unter keinen Umständen bereit sind, die eigene Gruppe in etwas Neuem aufgehen zu lassen. Wir brechen aber auch nicht voreilig eine Struktur ab, die im Moment gut läuft. Und wir sind nicht zu haben für Umbenennungsübungen. Im Moment ist vieles offen. Klar ist nur eines: Wenn die neue Bewegung erfolgreich sein wird, wird die AL in Zürich nicht mehr die AL von heute sein.
Sie träumen davon, dass die Linke Alternative dereinst der SP Stimmen im zweistelligen Prozentbereich abjagt wie Die Linke der SPD in Deutschland?
Es geht nicht darum, der SP Stimmen abzujagen. Es geht um den Aufbau einer neuen politischen Kraft, in der Menschen agieren, die heute nicht parteipolitisch aktiv sind. Wenn wir zusammenspannen, können wir Projekte mit Ausstrahlungskraft lancieren und erfolgreich umsetzen. Die Abschaffung der Pauschalsteuer im Kanton Zürich hat gezeigt, dass eine radikale Linke mehr erreichen kann. Mit einer pragmatisch agierenden politischen Kraft, die nicht ins Establishement eingebunden ist und die deshalb freier planen und die Dinge auf den Punkt bringen kann, können scheinbar unveränderbare Dinge plötzlich in Bewegung geraten.
Aber eine Zusammenarbeit mit SP und/oder Grünen ist nicht geplant?
Wenn das geht, wird niemand etwas dagegen haben. Eine Zusammenarbeit auf der Basis konkreter Forderungen und Programme wird nicht am Veto dieser neuen politischen Kraft scheitern. Der Entscheid, etwas Neues aufzubauen, hat andere Gründe. Die Grünen zeigen sich heute nicht als die innovative Kraft, die die soziale Frage neu auf die Tagesordnung setzen könnte. Und die SP ist sehr stark geprägt vom Ausflug in den Neoliberalismus der letzten zwanzig Jahre. Das heisst: Auch wenn man ganz pragmatisch bleibt, kommt man zum Schluss, dass eine linke Kraft, die nicht in Regierungsverantwortung und Konkordanz eingebunden ist und die sich nicht vereinnahmen lässt, notwendig ist.
Das klingt sehr logisch – aber warum wollen Sie angesichts der Vorteile der Unabhängigkeit ausgerechnet in den Zürcher Stadtrat gewählt und damit in die Institution Exekutive eingebunden werden?
Die AL ist lokalpolitisch in Zürich stark verankert und nimmt einen wichtigen Platz ein, insbesondere in der Stadtentwicklungspolitik, in Fragen der Ressourcenverteilung und wenn es um die Kritik neuer Auswüchse staatlicher Kontrolltätigkeiten geht. Ich bringe mit meiner Stadtratskandidatur diese Inhalte ein. Auch wenn ich nicht damit rechnen darf (oder muss), ab Mai des kommenden Jahres im Stadtrat zu sitzen, habe ich vor dieser Herausforderung keine Angst. Gar keine Angst habe ich davor, dass ich im Stadtrat meine Identität verlieren würde. Ich stehe ein für eine andere Politik. Darin wird sich nichts ändern.
Inwiefern?
Die AL will einen Kurswechsel. Die Modernisierungspolitik der letzten zwölf Jahre war für viele Menschen in dieser Stadt kein Segen. Die mit dieser Modernisierungspolitik beförderten Verdrängungsprozesse lassen viele Bewohnerinnen und Bewohner ratlos zurück. Sie spüren, dass sie in dieser Stadt nur noch auf Zeit geduldet sind, dass es für sie eigentlich keinen Platz mehr gibt in der Boomtown. Wenn eine rot-grüne Mehrheit mit solchen Prozessen identifiziert wird, braucht es einen Kurswechsel. Wir werden nie akzeptieren, dass Bewohner/-innen dieser Stadt, die gerne weiterhin in der Stadt leben würden, in die Agglomeration verdrängt werden.
Sie haben auch Fragen der Ressourcenverteilung erwähnt – aber wo nichts hereinkommt, kann man auch nichts verteilen…
Zürich leidet nun wahrlich nicht daran, dass nichts mehr hereinkommt. Man muss das Wachstum der vergangenen Jahre jetzt aber erst einmal verdauen. Wir brauchen Investitionen in die Infrastruktur, die Schulen, die Horte, die Krippen, die Quartiere. Wenn zurzeit wieder Hunderttausende von Franken in die Kongresshausplanung gesteckt werden und Kinder in Zürich-Affoltern in provisorischen Pavillons zur Schule gehen müssen, die neben einem mit Gittern abgeschirmten, schadstoffbelasteten Grundstück stehen, stimmt doch etwas nicht. Man kann nicht den Kreis 4 mit Alleekonzepten aufwerten und in den Aussenquartieren zu wenig Schulhäuser zur Verfügung stellen. Und wir brauchen mehr soziale Durchmischung in den Boom-Quartieren.
In Zürich setzt sich allerdings in erster Linie die SP mit diversen Vorstössen im Gemeinderat und bald auch einer Volksinitiative für zahlbare Wohnungen ein…
Das ist eine grosse Täuschung. Die Wohnungsnot ist nicht erst eine Realität, seit der Mittelstand in den Quartieren am See Opfer von Verdrängungsprozessen geworden ist. Die AL hat sich für zahlbaren Wohnraum eingesetzt, als die SP darauf gedrängt hat, Wohnen der mittleren und oberen Preisklasse für das eigene Klientel zu fördern. Wenn der AL etwas bescheinigt wird, ist es ihre Schrittmacherrolle in diesen Themen. Ich nenn dir nur ein Beispiel: Die erste neue Wohnsiedlung, die die Stadt Zürich nach zwanzig Jahren Funkstille im kommunalen Wohnungsbau auf der Kronenwiese bauen wird, geht auf eine Motion zurück, die ich zusammen mit Karin Rykart eingereicht habe. Der Vorstoss ist eingereicht worden, weil wir den Verkauf von städtischem Bauland für den Bau von superteuren Lofts kritisiert haben.
Luxussanierungen waren schon Ende der 80er-, anfangs der 90er-Jahre ein Thema: Wie hätte der Stadtrat den Trend hin zu schicken Wohnungen für Vermögende brechen sollen?
Man tritt in den Verhandlungen mit den privaten Investoren viel zu wenig offensiv auf. Mit der kooperativen Planung, die mit den Namen Martelli und Ledergerber verbunden ist, brach in Zürich für die Immobilienkonzerne das goldene Zeitalter an. Böse Zungen reden in diesem Zusammenhang nicht ganz falsch von der Elmartelli GmbH. Wenn ich einen Kurswechsel fordere, so heisst das, dass der Stadtrat die Interessen der Bewohner/-innen dieser Stadt wieder vor die Interessen der Investor/-innen stellen muss.
Dann soll der Stadtrat also einen seit langem laufenden Prozess einfach so stoppen – wie soll das gehen?
Indem er beispielsweise mehr auf die linken Zwischenrufe hört, die im Parlament doch recht oft zu hören sind. Was die AL vor einem Jahr fürs Zollfreilagerareal gefordert hat, nämlich einen Genossenschaftswohnungs-Anteil von 30 Prozent, soll im Manegg-Areal jetzt realisiert werden…
…dank gütiger Mithilfe von SP und Grünen…
Natürlich. Für fortschrittliche Projekte braucht es linke Mehrheiten. Wenn demnächst durchgesetzt wird, dass die Bauordnung mit Bestimmungen ergänzt wird, dank denen in Gestaltungsplänen der Bau von gemeinnützigen Wohnungen verbindlich festgelegt wird, ist das doch gut. Wenn der SBB freundlich aber bestimmt mitgeteilt wird, dass es nicht weitergehen können mit der Immobilienspekulation auf den freiwerdenden Bahnflächen, ist das doch auch super. Eine Kooperation von SP, Grünen und AL, manchmal verstärkt durch EVP- oder CVP-Stimmen, ist doch sehr erfreulich. Seit letztem Montag sagt ja sogar der Stadtrat, dass bei grossen Bauprojekten ein Anteil an gemeinnützigen Wohnungen gebaut werden muss.