Vorlagen für gemeinnützigen oder preisgünstigen Wohnraum werden in der Stadt Zürich traditionsgemäss selten bis nie abgelehnt. Zürcher*innen wären angesichts des konstanten Mangels an günstigen Wohnungen auch blöd, wenn sie das täten. Trotzdem muss der Gestaltungsplan Thurgauerstrasse, über den wir Ende November abstimmen, unbedingt abgelehnt werden.
Auf den ersten Blick mag er alle Kriterien für ein Vorzeige-Projekt erfüllen: Das Bauland ist städtisch und der Neubausiedlung müssen zwar Schrebergärten, aber keine günstigen Altbauwohnungen weichen. Der Wohnraum für 2000 Menschen ist nicht nur 100% spekulationsfrei, er ist auch ein wichtiges Puzzlestück für die Realisierung des vom Stimmvolk geforderten Drittelsziels an gemeinnützigen Wohnungen. Ein Teil der Wohnungen soll subventioniert werden, was für gute soziale Durchmischung sorgt. Für Gewerberäume ist ebenso gesorgt wie für Alterswohnungen. Auch Infrastruktur in Form von Schule, Park und Alterspflege ist vorgesehen. Das Projekt ist zudem der 2000-Watt-Gesellschaft und dem auto-armen Wohnen verpflichtet. Und es leistet einen Beitrag an das von Bund und Kanton verordnete Verdichtungsziel, mit dem der Zersiedlung des Umlands begegnet werden soll. Ist ein Narr, eine Närrin, wer solch reich geschnürtes Paket an den Sender zurückschickt?
Widerstand und Skepsis von Anfang an
Im Abstimmungsbüchlein kommt die Vorlage leichtfüssig daher. Keine Rede davon, wie hart es für Stadtrat und Verwaltung war, sie in der Kommission und im Rat durchzuboxen. Und nichts im Text erinnert daran, dass sie nur eine Mehrheit fand, weil sich SP, FDP und GLP in letzter Minute in einer rein politischen Abwehrallianz zusammenraufen. Turbulente Debatten, ein absurdes Rückweisungstheater, widersprüchliche Zusatzanträge, Vorstösse und zähe Verhandlungen gingen dem voraus, was im Büchlein nun schlicht als Zustimmung des Gemeinderats, der «einige Änderungen vorgenommen hatte», bagatellisiert wird. Die Kämpfe und Krämpfe im Parlament und die Tatsache, dass trotz Corona in kurzer Zeit mehr als 2000 Personen das Referendum gegen dieses Flickwerk unterschrieben haben, dürfen als Hinweis dafür gelten, dass mehr als ein Grund gegen dieses Projekt spricht.
Beschränkter Einfluss des Parlaments
Das Parlament konnte zwar ein bisschen Fassadengrün hier und etwas weniger versiegelten Boden dort einbringen, an den Grundfesten – dem Planungsperimeter, den Gebäudekuben und ihrer Anordnung – durfte nicht gerüttelt werden. Der Mix aus brutalistisch anmutenden Hochbauten und Gebäuderiegeln blendet die Umgebung nicht nur völlig aus, sondern drückt die unmittelbare Nachbarschaft rücksichtslos an den Rand. Zwar wurden auch andere – nennen wir sie verspieltere – Testplanungen von der Jury evaluiert. Sie bezogen auch die Eigenheiten des bestehenden Quartiers mit ein, planten grosszügige «Nachbarschaftsbänder», wo sich alte und neue Bewohner*innen begegnen konnten, und betonten die organische Entwicklung des Areals. Welcher Teufel die Verantwortlichen geritten haben mag, dass sie gerade das vorliegende Projekt vorzogen? War es die von der Stadt gelobte «robuste urbane Struktur», die den Ästhet*innen gefiel? Oder waren die Technokrat*innen fasziniert von der «einfachen Kommunizierbarkeit des Projekts», der genauen Berechenbarkeit der Anzahl Menschen, die man in solche Baukörper «abfüllen» kann?
Kein Wunder, wehrt sich das Quartier
Die SP macht es sich einfach. Unterm Motto «Augen zu und durch» und in strammer Nibelungentreue zu André verkündet sie «Vorwärts mit dem bezahlbaren Wohnungsbau» [sic!]. Für uns erfordern Quartierplanungen den Blick in die Zukunft. Zu oft sind die hiesigen Stadtplaner*innen mit Blindheit geschlagen, wenn es um die hier und jetzt lebenden Menschen und die Strukturen geht, in denen sie sich bewegen. Das ist ein unverzeihliches Versäumnis. Und dass ihr Lebensmittelpunkt von der Stadt zum Entwicklungsgebiet erklärt wird, eine entmündigende Beleidigung sondergleichen. Kein Wunder, wehren sich heute Quartiere in vielen Teilen der Stadt, auch gegen Projekte, denen man, wären sie umsichtiger aufgegleist, zustimmen könnte.
Das Polit-Flickwerk, wie es uns hier vorliegt, muss abgelehnt werden, weil sich seine Erschaffer*innen wie Elefanten im Porzellanladen der Gegenwart bewegen. Die Stadt muss – will sie ihre Ziele tatsächlich erreichen – endlich lernen, wie man Quartiere sensibel erweitert, ohne dass Verdichtung zum allgegenwärtigen Schreckgespenst wird. Das sollte doch möglich sein!
Andrea Leitner, Gemeinderätin AL
Andrea Leitner: Thurgauerstrasse: Rücksichtslos verdichten Nein! (PDF)
Medienmappe des Komitees “Rücksichtslos verdichten NEIN!” (10. November 2020, PDF)