Über Hochhäuser, speziell Wohnhochhäuser, lässt sich trefflich streiten. Das war schon 1950 der Fall, als Stadtbaumeister A.H. Steiner am Letzigraben die beiden ersten – 12-geschossigen – Zürcher Wohnhochhäuser baute. Gestritten wurde über die emotionale Bedeutung des Wohnens in Bodennähe, Anonymität und Familien- und Kinderfeindlichkeit. Ich lasse all diese Wertediskussionen – ob berechtigt oder nicht – beiseite und konzentriere mich auf die Ökonomie des Hochhausbaus, speziell im gemeinnützigen Wohnungsbau.
Wohnhochhäuser: 10 – 25 Prozent teurer
Baurechtlich gelten im Kanton Zürich Gebäude mit mehr als 25 m Höhe als Hochhäuser. Unbestritten ist, dass sie im Bau wie in Betrieb und Unterhalt deutlich teurer sind als Flachbauten mit bis zu 7 Geschossen und maximal 25 m Gebäudehöhe. Die Gründe sind rasch benannt: erhöhte Anforderungen an den Brandschutz (separate Fluchttreppenhäuser, Schleusen und Rauchfreihaltung, Feuerwehrlift etc.), aufwendigere Statik, aufwendigere Gebäudetechnik, ab einer gewissen Höhe aufwendigere Massnahmen zum Wind- und Sonnenschutz etc. Abgesehen von höheren Baukosten resultiert auch ein ungünstigeres Verhältnis von gebauter Geschossfläche zu nutzbarer Wohnfläche. Laut einer ZKB-Analyse ist von 15 – 25% höheren Baukosten auszugehen (Immobilien aktuell März 2019). Auch eine im Auftrag des Amts für Städtebau 2013 vom Architekturbüro Adrian Streich – Erstellerin der beiden SBB-Hochhäuser an der Hohlstrasse – erstellte Machbarkeitsstudie für die städtische Parzelle Letzibach D kam zum Schluss, dass nach Ausschöpfung von Effizienzmassnahmen ein Wohnhochhaus mindestens 10 Prozent teurer sei.
Kostenlimiten der Wohnbauförderungsverordnung
Die kantonale Wohnbauförderungsverordnung (WBFV) legt je nach Zimmerzahl einen Maximalwert für die Erstellungskosten fest, der nicht überschritten werden darf, wenn die Wohnungen subventioniert werden sollen. Aktuell sind das für eine 95 m2 grosse 4.5-Zimmer-Wohnung im Minergie-P-Eco-Standard 426’930 Franken. Da die Stadt sowohl für den kommunalen Eigenbau wie für Baurechtsareale aus sozialen Überlegungen einen Mindestanteil von subventionierten Wohnungen vorsieht, setzt die WBFV einen generellen Rahmen für die zulässigen Baukosten.
Genossenschafts-Dachverband kritisiert Hochhausplanung Thurgauerstrasse
Für die Erstellung bezahlbarer gemeinnütziger Wohnungen in Hochhäusern besteht also ein handfestes Problem. Kein Wunder, hat wohnbaugenossenschaften zürich (wbg), die Dachorganisation der Zürcher Baugenossenschaften, die an der Thurgauerstrasse geplanten Hochhäuser 2016 in ihrer Einwendung kritisiert:
«Knapp die Hälfte der Wohnungen befindet sich in Hochhäusern. Die Erstellungskosten für Wohnraum in Hochhäusern sind aufgrund der baurechtlichen Regulatorien und aus technischen Gründen deutlich höher. Das Verhältnis HHF/GF ist gegenüber der Regelbauweise schlechter. Die hohe Ausnützung und damit die Notwendigkeit der Erstellung von Hochhäusern stehen in einem Zielkonflikt zur Erstellung von kostengünstigem Wohnraum. Es gibt in Zürich keine neuen gemeinnützigen Wohnungen in Hochhäusern, die die Kostenlimite der WBFV einhalten.»
Im Fokus: Letzibach D und Koch-Areal
Im Fokus stehen zurzeit zwei Hochhausplanungen von Gemeinnützigen: die vom Gemeinderat Ende Oktober 2020 beschlossene städtische Wohnüberbauung Letzibach D auf einem ehemaligen SBB-Areal an der Hohlstrasse, über die wir im März 2021 abstimmen, und das ABZ-Projekt auf dem Koch-Areal, für das soeben der Gestaltungsplanentwurf aufgelegt worden ist.
Beim Letzibach-D-Projekt hielt der Stadtrat bereits in der Weisung für den Kauf des Areals fest:
«Erfahrungsgemäss kollidiert, wenn ein Teil der Wohnungen subventionierbar sein sollen, die Erstellung von Wohnhochhäusern mit den Kostenlimiten gemäss der kantonalen Wohnbauförderungsverordnung.» (GR 2013/58)
Aus diesen Gründen hat sich die Stadt offenbar entschieden, die Überbauung in Eigenregie – durch die Liegi und die städtischen Stiftungen Alterswohnungen (SAW) und kinderreiche Familien – zu realisieren.
Letzibach D: Ob die Mischrechnung klappen wird?
Die erwähnte Machbarkeitsstudie kommt zum Schluss, dass in Flachbauten die Kostenlimiten der WBFV um 5 Prozent unterschritten werden können. Bei einem idealen Mix von Wohnungen in Flachbauten und einem Hochhaus könnten dank Querfinanzierung die 10 Prozent Hochhaus-Mehrkosten kompensiert werden. Auf diesem Kalkül beruht auch die Abstimmungsvorlage des Stadtrats für Letzibach D. Statt nach dem tatsächlichen Aufwand werden die Baukosten nach Wohnfläche auf die drei städtischen Bauträger verteilt und damit das Wohnhochhaus der Stiftung SAW, auf das 37% der Nutzfläche entfällt, durch die Liegi und die Stiftung Kinderreiche quersubventioniert. Bevor der Stadtrat dem Gemeinderat den Projektierungskredit unterbreiten konnte, musste in den städtischen Ämtern während vier Jahren hin und her optimiert und gerechnet werden. Ob die Mischrechnung und der Kostenpoker verheben, wird sich erst nach Bauabschluss zeigen.
ABZ-Hochhaus Koch-Areal: ein ökonomischer Kantengang
Sozusagen die eierlegende Wollmilchsau bei den Wolkenkratzer-Aficionados ist das geplante Wohnhochhaus der ABZ auf dem städtischen Koch-Areal. Auch hier steht der Tatbeweis noch aus. In der Projekteingabe, mit der sich die ABZ im Sommer 2017 für das Baurecht bewarb, waren 23 Geschosse und eine Gebäudehöhe von 70 m vorgesehen. Im konkreten Gestaltungsplan, der diesen Herbst aufgelegt wurde, sind daraus 28 Geschosse und eine Gebäudehöhe von 86 m geworden. Dahinter stecken offensichtlich ökonomische Zwänge: Die ABZ versucht, die baulichen Mehrkosten mit einer grösseren Zahl von Wohnungen aufzufangen. Also auch hier: alles andere als ein planerischer Sonntagsspaziergang, vielmehr ein ökonomischer Kantengang.
Letzibach D und Koch-Areal: schwierige Arealverhältnisse…
Sowohl bei Letzibach D wie beim Koch-Areal geht die ökonomisch problematische Erstellung von Wohnhochhäusern letztlich auf die Areal-Konstellation vor Ort zurück, welche die angestrebte Mindestnutzung mit einem Regelbau verunmöglicht. Bei Letzibach D sind es eine ungünstig verlaufende Baulinie und ein von der VBZ genutztes Anschlussgleis, das die Parzelle mittendurch zerschneidet. Beim Koch-Areal ist es die Vorgabe, dass in der mit Grünraum unterversorgten Gegend gut 40 Prozent des Areals für einen öffentlichen Quartierpark freigehalten werden müssen.
…aber Einpassung în den baulichen Kontext
Immerhin ist positiv festzuhalten, dass sich eine Hochhausnutzung in beiden Fällen ohne Weiteres in den baulichen Kontext der Umgebung einpasst. Bei Letzibach D reiht sich das geplante SAW-Hochhaus in die Hochhaus-Skyline der SBB-Bauten – Letzibach C und Wohnhaus Letzi – entlang der Hohlstrasse ein. Auf dem Koch-Areal korrespondiert das ABZ-Hochhaus mit den wuchtigen Gewerbebauten und dem geplanten Hochhaus auf dem angrenzenden UBS-Areal.
Thurgauerstrasse: Hochhausplanung ohne Not
Völlig anders ist die Situation an der Thurgauerstrasse. Hier haben sich die städtischen Planer*innen auf einem komfortabel grossen Areal ohne Not und ohne Rücksicht auf die Nachbarschaft für eine Hochhaus-Skyline entschieden, um sich dort – O-Ton Testplanung – einen «urbanen Traum» zu verwirklichen und eine «robuste urbane Struktur» zu implantieren, «welche die Parzelle als zusammenhängende Setzung in Beschlag nimmt und eine starke bauliche Dichte etabliert» (Schlussbericht Testplanung, Seite 46). Das planerische Brutalo-Vokabular spricht Bände. Solche Top-Down-Fantasien müssen wir mit einem Nein am 29. November stoppen.
Niggi Scherr: Gestaltungsplan Thurgauerstrasse: Der Mythos Hochhaus (PDF)