Wohnpolitik 1: Grundsätze 24 – ein Meilenstein

Wohnsiedlung Limmatstrasse (Bild: BAZ)

Am 31. August 1924 fällten die Stadtzürcher mit 88.4% Ja einen wegleitenden wohnpolitischen Entscheid. Sie ermächtigten den Stadtrat, «den gemeinnützigen Wohnungsbau nach den vom Grossen Stadtrat am 9. Juli 1924 aufgestellten Grundsätzen durch Gewährung von Darlehen, Abgabe von Bauland und durch Beteiligung an gemeinnützigen Baugesellschaften zu unterstützen.»

1907 – 1920: Intensiver kommunaler Wohnungsbau

Der Startschuss zur städtischen Wohnbauförderung fiel im Jahr 1907 mit dem Volks-Ja zum Bau der städtischen Wohnsiedlung Limmat und zum Grundsatzentscheid zur Förderung der «Erstellung gesunder und billiger Wohnungen». Im Juli 1910 erliess das Parlament ein erstes Umsetzungsreglement zur Förderung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus, das allerdings nur wenig Wirkung zeigte. Bis Anfang der 1920er-Jahre stand klar der kommunale Wohnungsbau im Vordergrund. Um den Einbruch der privaten Bautätigkeit zu kompensieren, erstellte die Stadt nach den Wohnsiedlungen Limmat (1907-08) und Riedtli (1911-19) von 1917 bis 1920 in einem Kraftakt die fünf Wohnsiedlungen Zurlinden, Nordstrasse, Rebhügel, Sihlfeld und Wibichstrasse mit total 599 Wohnungen – mehr als die Hälfte der gesamten Wohnungsproduktion dieser Jahre. Im November 1919 wurde die stark verschuldete, inzwischen von einer linken Parlamentsmehrheit regierte Stadt durch den Kreditboykott der Grossbanken und die Unterstellung des städtischen Budgets unter kantonale Zwangsverwaltung (1919 – 1922) ausgebremst und der geplante Bau von weiteren 700 städtischen Wohnungen gestoppt.

Meilenstein der Wohnbauförderung

Die im Wesentlichen bis heute gültigen Grundsätze 24 sind ein Meilenstein der Wohnbauförderung. Ihre Kernpunkte:

  1. Verkauf von Bauland oder Abgabe im Baurecht zu «mässig angesetztem Verkehrswert»
  2. Gewährung von Zweithypotheken bis 94% des Anlagewerts zur Kondition für Ersthypotheken durch die städtische Pensionskasse
  3. Beteiligung der Stadt von bis zu 10% am Anteilscheinkapital
  4. Verkaufsverbot für städtisch geförderte Wohngebäude und Kontrolle der Mietzinse durch die Stadt.

1924 – 1932: 42 Prozent gemeinnützige Neubauwohnungen

Der entscheidende Fortschritt gegenüber dem Reglement von 1910 war die Erhöhung der Fremdfinanzierung von 90% auf 94%. Damit waren nicht mehr 10%, sondern bloss 6%, dank Beteiligung der Stadt sogar nur noch 5.4% Eigenkapital erforderlich. Zudem konnte dieser Restbetrag gestaffelt einbezahlt werden. Damit wurden die Eintrittshürden für die Gründung neuer Genossenschaften massiv gesenkt. Von 1924 bis 1932 erstellten Baugenossenschaften 9’117 Wohnungen. Zusammen mit den 795 städtischen Wohnungen kam der gemeinnützige Wohnungsbau auf einen Neubau-Anteil von 42 Prozent.

Offensive Bodenpolitik

Mastermind dieser Wohnbauoffensive war der sozialdemokratische Bauvorstand und spätere Stadtpräsident Emil Klöti. Ziel war es, stets genug gemeinnützige Wohnungen zu bauen, um den Markt liquid zu halten. Die Wohnbaukommission des Stadtrats strebte einen Leerwohnungsvorrat von 1% bis 2% an. Ein Ziel, das allerdings nie erreicht wurde: Bis 1930 blieb der Leerwohnungsbestand stets unter 1%.

Schon vor dem Krieg hatte die Stadt angefangen, aktiv Land zu kaufen. In den 1920erJahren intensivierte der Stadtrat diese Politik. Von 1925 bis 1931 gab die Stadt jährlich im Schnitt 6.3 Millionen Franken für Landerwerb aus – knapp einen Fünftel der Steuereinnahmen von 30 bis 36 Millionen Franken! Diese offensive Bodenpolitik wurde erleichtert durch die anhaltend tiefen und zum Teil rückläufigen Baulandpreise; bei Verkäufen an Genossenschaften konnten trotz mässigen Verkaufspreisen oft noch Gewinne erzielt werden. Bis 1933 brachte die Stadt einen Drittel des Stadtgebiets in ihren Besitz und sicherte sich so ihren Einfluss auf die Stadtentwicklung und die Wohnpolitik.

Wohnangebot für die Arbeiteraristokratie

Die beeindruckende Wohnpolitik des «Roten Zürich» hatte aber auch Grenzen und blinde Flecken. Genossenschaftswohnungen waren weitgehend ein Angebot für die Arbeiteraristokratie, für Facharbeiter und öffentliche Angestellte. Das hatte zum einen objektive Gründe: Angesichts ihrer hohen Fremdfinanzierung waren die Genossenschaften auf Mieter mit einem sicheren Arbeitsplatz und genügend Einkommen für die Bezahlung des Anteilscheinkapitals angewiesen. Andererseits diente der genossenschaftliche Wohnungsbau auch dem Machterhalt der dominanten Sozialdemokratie. In einzelnen Genossenschaften war die politische Selektion von Bewerber:innen noch bis in die 1980er-Jahre gang und gäbe, ohne oder mit dem falschen Parteibüchlein hatte mensch da keine Chance.

Fixierung auf Normalfamilie

Die Wohnbauförderung war auch auf die Normierung der privaten Lebenswelt ausgerichtet. Daniel Kurz schreibt in «Die Disziplinierung der Stadt» über die städtischen Planer:

«Das Modell der Kleinfamilie beherrschte ihr Denken. Ausschliesslich für sie waren die normierten Kleinwohnungen der Baugenossenschaften gedacht. Unverheiratete hatten in diesen Konzepten keinen Platz.»

Exemplarisch zeigte sich dieser Aspekt beim Mieterstreik von 1932, als ein KPS-nahes Aktionskomitee eine Senkung der Mieten forderte. Das sozialdemokratische «Volksrecht» führte eine Diffamierungskampagne gegen die Streikbewegung. «Fast die Hälfte» der streikenden Mieter seien «Alleinstehende, Familienlose, Ledige, Untermieter, Jungens, Burschen, Mädchen», zu denen «nicht einmal die eingeschriebenen Kommunisten Vertrauen» hätten. Und an einer Versammlung der Mietervereins erklärte SP-Stadtpräsident Klöti, die Mietzinsen bewegten sich entsprechend dem Angebot und der Nachfrage, und die Stadt habe kein Recht, in das Verhältnis von Mieter und Vermieter einzugreifen. Die Lösung liege in der Vermehrung des Angebots durch Förderung des Wohnungsbaus.

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